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Wie das Patriarchat überwunden werden könnte…

 

Wir leben jetzt schon, seit wir die Geschichte überblicken, im Patriarchat, da wäre es doch an der Zeit, an ein Ende zu denken! Es tut sich ja auch schon einiges: der Softy tauchte am Horizont auf, die Me-too-Bewegung räumte ein wenig auf, Missbrauchsfälle werden ein wenig aufgearbeitet, viele Männer sind verunsichert, usw. Und doch haben wir das Gefühl, aus der Nummer kommen wir nicht raus…

 

Der Softy ist längst Geschichte. Ein paar Männer haben das authentisch durchgezogen, die meisten schämten sich oder würden sich schämen, und bei den Frauen ist er auch nicht angekommen, weil er ihrem Männerbild gar nicht entspricht. Also wozu?

 

Damit sind wir beim Kern des Problems: Das Patriarchat ist nicht bloß Männersache, sondern auch die Frauen zementieren das Patriarchat. Sie haben zwar schon verstanden, dass sie nicht mehr Opfer sein wollen, aber was da noch als Hindernis bestehen bleibt, ist nicht der Mann, sondern ihr Männerbild.

 

Ab jetzt reden wir vom Archetypus des Männlichen und Weiblichen. Das ist nicht dasselbe wie Mann und Frau. Das gravierendste Problem und die größte Tragik des Patriarchats ist nämlich, dass die natürliche (psychische) Zweigeschlechtlichkeit der Menschen unterlaufen wurde und Männer nur männlich, und Frauen nur weiblich zu sein haben. Was völlig widernatürlich ist, denn Männer wie Frauen haben weibliche und männliche Anteile – immer archetypisch gesehen. So gleichen die Männer- und Frauenbilder im Patriarchat eher einer Karikatur als der Realität. Von daher kommen auch die einseitigen Rollenbilder, die wir heute mit Recht bekämpfen.

 

Beziehungen im Patriarchat

Wenn wir von Beziehungen reden, dann wird es noch etwas komplizierter. Jede/r sucht im außen die gegengeschlechtliche Ergänzung, die er/sie aber mehr oder weniger unbewusst auch in sich trägt – meist unterentwickelt, weil verdrängt. So hat der Mann ein Bild von Weiblichkeit als Archetypus der Anima in sich, das auf eine Frau projiziert wird. Und die Frau trägt ein Bild von Männlichkeit als Archetypus des Animus in sich, das sie auf einen Mann projiziert. Auf den/die Partner/in projiziert ergibt das eine Diskrepanz zwischen Bild/Projektion und Realität. Wenn alles gut geht, werden sich Bild und Realität immer mehr angleichen.

 

Dazu kommt, dass Mann und Frau komplett unterschiedlich projizieren: Es kann sein, dass die Frau ein Idealbild projiziert, das mit der Realität, mit dem realen Partner kaum etwas zu tun hat. (In Kunst und Literatur „Die Schöne und das Biest“). Der konkrete Mann kann dann den miesesten Charakter haben, sie sieht doch nur ihr Ideal- oder Wunschbild. Es werden dann alle Eigenschaften des Mannes im Sinne des Ideals der Frau umgedeutet. Dann wird männliche Stärke gesehen, wo doch nur Starre und Massivität ist. Dann wird Selbstbewusstsein gesehen, wo doch nur Egozentrik ist. Dann wird „Leben im Jetzt“ gesehen, wo doch nur Verantwortungslosigkeit und sich Kümmern um nichts steht. Und klassisch wird Liebe gesehen, wo nur egoistisches Wollen und Besitzen ist. Jede scheinbare Zuwendung wird wie Nektar aufgesaugt, ohne nach dem Motiv oder der Absicht dahinter zu fragen. Es wird als ideale Beziehung gedeutet, wo gar keine Beziehung ist. Am deutlichsten ist das in „Beziehungen“ mit krankhaften Narzissten. Diese Illusion kann lange gut gehen, bricht aber irgendwann unweigerlich in sich zusammen.

 

Die Projektion einer Frau kann zum Realitätsverlust führen, die Projektion eines Mannes zum Seelenverlust. Die Frau bleibt in der Projektion bei sich, bei ihrem inneren Bild, und das hat mit der Realität, mit dem Mann, mit dem sie zusammen ist, oft gar nichts zu tun. Der Mann spaltet sein (archetypisch weibliches) Inneres ab und projiziert es nach außen auf eine Frau. Erich Neumann bezeichnet diese Abspaltung als Seelenverlust. Ein Mann muss im Patriarchat sein (weibliches) Inneres, seine Gefühle verdrängen, daher projiziert er sie auf die Frau. Aber statt in ihr das Bild seines Inneren zu sehen und wieder zu integrieren, wird es nach außen gedrängt und entfremdet. Und da das Unbewusste ein weites Land ist, mit dem es das männlich isolierte Bewusste nicht aufnehmen kann, muss es (als das Weibliche) marginalisiert und entwertet werden. Die Abwertung des – symbolisch weiblichen – Unbewussten wurde im Patriarchat missverstanden und zur Abwertung der Frau. Aber noch einmal sei gesagt, wir leben bereits in der Umbruchszeit, das gilt also auch nicht für jeden und jede.

 

Das Ende des Patriarchats

Am Leben gehalten wird das Patriarchat durch den Seelenverlust der Männer (und der Gesellschaft) und die Abwertung des Weiblichen. Die Abwertung des weiblichen Unbewussten wird zur Abwertung der Frau. Das Patriarchat wird aber auch am Leben gehalten durch den Realitätsverlust der Frau, die den Mann nicht sieht und ihm damit den Freiraum schafft, der das Patriarchat aufrechterhält.

 

Theoretisch hätten es die Frauen in der Hand, das Patriarchat schlagartig zu beenden. Sie müssten nur der Realität ins Auge sehen und nicht in jeder Karikatur von Männlichkeit schon den starken Mann sehen – indem sie ihr Idealbild projizieren, indem sie das sehen, was sie sehen wollen und nach dem sie sich sehnen. Dann entspricht nicht der Mann dem Animus der Frau, sondern bestenfalls entspricht seine Maske dem Wunschbild der Frau.

 

Die Überwindung des Patriarchats wird nicht durch einen Kampf der Frauen gegen die Männer kommen, der festigt nur das Patriarchat. Es kann nur gelingen durch das, was C. G: Jung die Individuation nennt. Wenn Männer ganz werden, indem sie ihre innere Weiblichkeit entdecken und integrieren, wenn Frauen ganz werden und ihre innere Männlichkeit entdecken und integrieren, wenn Männer – plakativ gesprochen – ihren Seelenverlust, und Frauen ihren Realitätsverlust zurücknehmen. Dann können beide in sich ganz werden und einander so auch ergänzen, und zwar auf Augenhöhe!

 

 

Auf dieses Post-Patriarchat bewegen wir uns heute hin…