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Philosophische Praxis mit psychologischem Touch

 

Philosophische Praxis wird meist mit rationaler Problemlösung verbunden – nach dem Motto: Was hätte Kant, Hegel, Leibniz oder Aristoteles und Platon dazu gesagt? Das kann eine neue Sicht auf das eigene Problem ergeben und vielleicht sogar eine Problemlösung. Nur – was ist, wenn die Probleme ganz wo anders, nämlich viel tiefer liegen? Dann ist ohne psychologisches Verständnis nicht viel zu machen.

 

Mir liegt dieser rationale Weg – trotzdem ich ein rationaler Mensch bin – weniger. Schon parallel zu meinem Philosophiestudium habe ich mich mit C.G. Jung (und Quantenphysik) beschäftigt. Später auch mit Freud, Frankl, Scondi, Wurmser, natürlich mit vielen Jung-Nachfolgerinnen usw. Und in meiner Praxis hat es sich langsam so ergeben, dass ich mit Fragen der Standortbestimmung und Lebensorientierung oder -Entscheidungen konfrontiert werde, aber zunehmend auch und vor allem mit Beziehungsproblemen. Da braucht man auch rationales Denken, aber vor allem Empathie, Einfühlung und – Psychologie. Es geht da nicht um „die Welt“, sondern um den oder die Menschen.

 

Ausgangpunkt

Ich versuche, vom konkreten Menschen und seinem konkreten Problem auszugehen, ohne irgendwelche Schablonen – philosophischer oder psychologischer Natur – zu verwenden. (Das hat übrigens auch C.G. Jung so gehalten. Er hat einmal geschrieben, dass er keine Lehre und keine Methode hat, sondern bei jedem Klienten, bei jeder Klientin von Null beginnt). Und die Problemlösung ist immer ein gemeinsamer Weg.

 

Natürlich kann es vorkommen, dass ich hinter einem Problem, z.B. einer Lebensentscheidung – z.B. entweder ein Leben wie bisher oder Haus verkaufen, Wohnwagen anschaffen und durch Europa zu tingeln – auch ein psychologisches Problem sehe. Das kann ich auch ansprechen, aber ich lasse es frei, darüber zu reden oder auch nicht.

 

Oder wenn es um eine ethische Entscheidung geht innerhalb einer Beziehung, dann werden wir darüber reden und nicht über die Beziehungskonstellation – außer das wird auch gewünscht. Aber meist kommen Klienten mit einer ganz konkreten Frage und darauf werden wir auch eingehen. Die Beziehungsproblematik würde längere Zeit in Anspruch nehmen.

 

Unorthodoxe Situationen

Ich war auch schon mit einer traumatisierten multiplen Persönlichkeit konfrontiert, wo ich nach einem kurzen Kennenlernen mit verschiedenen abgespaltenen Unterpersönlichkeiten geschrieben habe – mit 5-, 11- und 17-Jährigen in der jeweiligen Sprache. Von Psychotherapie kann man da natürlich nicht reden.

 

Viel habe ich mit Traumatisierten zu tun, deren Trauma sich in der Beziehung äußert, das aber fast immer auf ein Kindheitstrauma zurückzuführen ist. Dabei geht es in einer philosophischen Praxis nicht um Psychotherapie, sondern darüber, das Trauma anzusprechen und bewusst zu machen. Wie weit das geht, hängt von der Person ab. Es kann auch schon hilfreich sein, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen.

 

Völlig unorthodox war auch eine Situation, die eine eigene Beziehung betraf. Sie war selbst Psychotherapeutin und hatte ihr eigenes Trauma bereits in ihrer Ausbildung und Selbstanalyse aufgearbeitet – aber da gab es noch ein viel tiefer liegendes Trauma aus der frühen Kindheit (dadurch der Erinnerung entzogen), das zum Lebensmotto wurde. Ich habe aus dieser Beziehung mehr über Psychologie gelernt als mein ganzes Leben davor. Und wir haben immer gesagt, es ist unmöglich, einen Lebenspartner zu „therapieren“. Es war aber auch keine „Therapie“, sondern ein gemeinsamer Weg und eine gemeinsame Entwicklung. Zwei Jahre nach Ende der Beziehung ging mir schlagartig auf, dass wir dieses Trauma „gelöst“ haben. Und sie hat mir bestätigt, dass sie das auch so sieht.  

 

Beziehungsmuster

Dabei fällt immer wieder auf, dass Verstehen allein nicht reicht. Sogar die erwähnte Psychotherapeutin hat das einmal so beschrieben: „Ich weiß genau, was da abläuft, aber ich kann mich nicht dagegen wehren!“ Bei tieferliegenden Problemen ist das Verstehen nur der erste Schritt auf dem Weg.

Bei Beziehungsproblemen – z.B. mit Narzissten – geht es darum, den Partner/die Partnerin zu analysieren. Das kann soweit gehen, dass das Persönlichkeitsbild des Narzissten völlig klar wird, auch total verstanden wird – aber das Gefühl und die emotionale Bindung und Abhängigkeit ist immer noch da, vor allem weil das eigene Beziehungsmuster noch nicht wirklich bearbeitet ist. Dann will man zwar aus diesem Muster raus, kann aber nicht. Da muss dann die Zeit zeigen, was daraus wird oder nicht wird.

 

Wir leben in einem narzisstischen Zeitalter, sagte einmal ein Psychotherapeut. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass ich es bei Beziehungsproblemen fast immer mit einem Partner zu tun habe, der ein hochgradiger Narzisst ist. Daher bin ich mit diesem Persönlichkeitsbild schon ziemlich vertraut. Aber eine Klientin da rauszubringen, ist oft eine Sisyphusarbeit. Das kann gehen, kann sich aber auch über Monate und Jahre erstrecken und der Ausgang ist immer noch offen.

 

Mann/Frau – männlich/weiblich

Natürlich geht es immer darum, was ist weiblich, was ist männlich? Damit meine ich das Prinzip oder die Symbolik und nicht konkret Männer und Frauen, die immer beides in unterschiedlicher Relation in sich haben. Ziel wäre es daher, Männern den Zugang zu ihrer Weiblichkeit und Frauen den Zugang zu ihrer Männlichkeit zu ermöglichen. Das Unbewusste des Mannes ist nach Jung weiblich (Anima), das Unbewusste der Frau ist männlich (Animus).

 

Und wenn man das so symbolisch auffasst, dann ist auch in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung eine/r mehr weiblich, und der/die andere mehr männlich. Auch wenn es sich um zwei Frauen oder zwei Männer handelt. Eine/r ist mehr aktiv, der/die andere mehr passiv. Das ist übrigens auch bei eineiigen Zwillingen so.

 

Die Aufgabe einer Beziehung wäre es, den Gegensatz zu (er)leben, andererseits das Gegengeschlechtliche in sich zu entdecken. Dazu kann oder soll der/die Partner/in verhelfen. Dazu ist es aber notwendig, aufeinander zuzugehen, und zwar auf Augenhöhe. Dann kann aus einem statischen Verhältnis eine gemeinsame Entwicklung werden.

 

Leider ist es oft so, dass die Beziehung auf einer schiefen Ebene verläuft. Eine/r dominiert, der/die andere passt sich an oder muss sich anpassen, um zu überleben. Bei Narzissten ist es so, dass sich die Partnerin entweder anpasst und dabei total verbiegen muss, was bis zum Masochismus gehen kann, oder es kommt zu Irritationen und Auseinanderbrechen der Beziehung. Schmerzlich ist es in jedem Fall.

 

Was beim Narzissten (ich bleibe beim männlichen Narzissten, weil davon – vor allem in unserer patriarchalen Gesellschaft – viel mehr Männer betroffen sind) so schwierig zu durchschauen ist: er ist ein perfekter Schauspieler, er kann zwar nicht lieben, aber er spielt die Liebe so perfekt vor wie ein „perfekter“ Liebhaber gar nicht kann. Zudem lässt er niemanden wirklich an sich ran. Er will Nähe und zieht die Partnerin magisch in seinen Bann, aber Nähe ist ihm unheimlich. Daher wird er aggressiv, wenn sie ihm zu nahe kommt. So spielt er Katz und Maus mit ihr, und sie leidet unter dem ständigen Kalt-Warm… Und sie wird durch diese ständige Aggression süchtig nach den Momenten der gespielten Nähe.

 

Internet/Facebook

Voraus: Facebook ist eine fantastische Sache auch für Traumatisierte, die hier (virtuelle) Kontakte knüpfen können, mit denen sie sich im konkreten Leben schwertun.

 

Aber auch generell geht es doch darum, Kontakte zu knüpfen, über Ländergrenzen hinweg, was manchmal auch ein Problem ist. Man liked, diskutiert und merkt schon eine gewisse Resonanz. Weiter geht es mit PN (persönlichen Nachrichten), und da FB rund um die Uhr zur Verfügung steht, kommt man sich sehr schnell näher. Durch die Distanz erzählt man sich Persönliches viel eher als im konkreten Alltag. Dabei lernt man den anderen in drei Wochen besser kennen als in einem halben Jahr im realen Leben.

 

Das birgt auch eine Gefahr, nämlich dass man sehr viel projiziert. Was noch nichts Schlechtes ist, Beziehung ist immer auch Projektion (des Animus auf den Partner, der Anima auf die Partnerin). Dadurch lernt man den anderen und sich selbst besser kennen. Im Idealfall einer Beziehung wird das eigene Innere am anderen sichtbar, man bekommt eine Beziehung zum anderen und zu sich selbst. Schwierig wird es nur, wenn Projektion und Realität zu weit auseinanderklaffen. Im Idealfall kann man aber dadurch zusammenwachsen, einerseits durch Resonanz, andererseits indem man die zunächst fremden Aspekte, die immer auch sein müssen, integrieren kann. Die Virtualität kann aber auch dazu führen, dass es bei der Projektion bleibt.

 

Fazit:

Alles in allem: Die Verbindung von Philosophie und Psychologie hat sich bewährt.