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Entwicklung im Daoismus

 

Der Daoismus ist der Prototyp eines dem Westen fremden Weltbildes und Denkens. Elemente sind im Westen statische Entitäten für sich, im Daoismus sind die Elemente dynamische Wandlungsphasen. Elementar sind nicht Dinge, sondern Beziehung und Prozesse.

 

Natur und Kultur sind nicht getrennt, der „Leib-Seele-Dualismus“ ist kein Problem, weil sich der Dualismus durch alles zieht, und weil eingebettet in eine Dreiheit. Und aus dem Spannungsfeld zwischen Yang und Yin entstehen die „zehntausend Dinge“. Nichts ist statisch wie bei uns, sondern alles ist im Fluss. Das ist aber kein Denken in Schemata, sondern orientiert an der Natur.

 

Die (männliche) Hinaus-in-die Welt-Bewegung ist eigentlich statisch, weil die Expansion im inneren nicht bewegt. Es ist der Weg des Westens und der ersten Lebenshälfte (C.G. Jung). Der (weibliche) Weg nach innen ist eigentlich dynamisch, weil er das Innere umgestaltet. Es ist der Weg des Ostens und der zweiten Lebenshälfte.

 

Für den Westen ist die Hektik des Lebens im Außen Aktivität (obwohl innere Inaktivität). Für den Osten ist der Weg nach innen, die Meditation die eigentliche Aktivität (obwohl äußere Inaktivität). Daher ist für uns das Männliche aktiv und das Weibliche passiv. Im Osten haben Yang und Yin eine je eigene Aktivität, sind ineinander enthalten und gehen ineinander über. Und auf übergeordneter Ebene ist das Männliche (Yang) das in sich Ruhende und das Weibliche (Yin) die Dynamik der Schöpfung. (Wir befinden uns hier nicht im Konkreten von Mann und Frau, sondern auf der Ebene der Symbolik, und die ist immer mehrdeutig und individuell).

 

Urgrund allen Seins ist das Dao, das Unergründliche, dem das Weibliche näher ist als das Männliche. Ganz so fremd sollte uns das auch wiederum nicht sein, denn wenn im Alten Testament von der Barmherzigkeit des „männlichen“ Gottes die Rede ist, dann leitet sich das „barmherzig“ vom Mutterschoß ab. Wer dieses Unergründliche respektiert, greift nicht ein in die Gesetze des Lebens, sondern vertraut einfach. Die Weisheit des Nicht-Eingreifens – Wu Wei.

 

Wandlungsphasen

Es gibt im Daoismus fünf Wandlungsphasen in der Natur wie im Leben des Menschen: Wasser, Holz, Feuer, Metall und Erde. Das ist gewöhnungsbedürftig, weil für uns die Elemente etwas Statisches sind.

 

Das Wasser verbinden die Chinesen mit dem Festhalten. Wir würden da eher das Fließende sehen. Aber das Wasser sammelt sich in der Tiefe. In der Natur entsprich das dem Winter, wenn alles Leben in der Erde ruht.

 

Das Holz verbinden die Chinesen mit Aktivieren, Wachsen. Im Frühling schmilzt das Eis und die Pflanzen treiben aus. Wir verbinden mit Holz alles, was wir aus Holz „machen“, die Chinesen sehen das Holz, das wächst und sich ausbreitet. Die Entwicklung geht von unten nach oben, von innen nach außen – eine Yang-Bewegung.

 

Das Feuer ist der Zustand des Geistes, ein hitziger und flüchtiger Zustand, der nur kurz aufflackert. In der Natur die Zeit des Hochsommers, die nur kurz andauern kann, weil sonst alles vertrocknet. Im Leben ist es das Lachen, die Liebe, der Orgasmus. Ein kurzer Moment der Vollendung, der verblühen muss – aber immer wieder kommen kann.

 

Das Metall ist der Zustand des Zurückführens und Abkühlens, des Herbstes, die Schönheit des Vergehens. Metall reflektiert und trennt. Es ist eine Grenze, bis hierher und nicht weiter. Die Richtung geht von oben nach unten, von außen nach innen, eine Yin-Bewegung zurück in die Tiefe.

 

Die Erde bedeutet Reife und Stoffwechsel, Besonnenheit, Bedacht und Ruhe, die Mitte, die beides, Yang und Yin enthält. Essen, Trinken, Nachdenken, Verharren, Schweigen und Meditation. Es ist die Zeit des Spätsommers, in der die Früchte reifen können.

 

Lebensphasen

Für den Westen besonders unverständlich ist, dass die Weisheit des Nicht-Eingreifens (Wu Wei) auch in der „Erziehung“ grundlegend ist. Kinder brauchen Sicherheit und ein Gefühl für sich selbst, und da ist jedes Eingreifen nach Vorstellung der Erwachsenen schädlich. Das Kind braucht vor allem einen sicheren und ruhigen Raum zur eigenen Entwicklung. Dafür braucht ein Kind dreierlei:

 

Feuer – Sonne, Liebe: Das Kind trägt alles in sich, was es braucht. Es muss nur aktiviert und entfaltet werden, und das geschieht durch die Liebe. Sie ist die Sonne, die das individuell Angelegte zur Entfaltung bringt. Sie regt an, dirigiert aber nicht. Fehlt die Liebe oder bekommt das Kind Liebe nur als Belohnung für „richtiges“ Verhalten, verkümmern alle anderen Eigenschaften. Es wird im späteren Leben liebeshungrig, süchtig nach Anerkennung, eitel, manipulierbar und unsicher! Es wird immer nur suchen, was es nie finden wird, weil sich dieses schädliche Muster eingegraben hat.

 

Erde – Nahrung und Wasser: Das Kind braucht gute Nahrung – und dazu gehört auch geistige Nahrung. Und das im richtigen Maß, denn ein Zuviel ist auch nicht gut.

 

Metall – Schutz und Respekt: Fehlen Respekt, Anerkennung und ein geschützter Freiraum, macht das Kind zu seinem eigenen Schutz dicht, wird abweisend und verschlossen, entwickelt Kontaktprobleme oder Probleme mit der Lunge oder der Haut (Kontaktorgane). Zum Respekt gehört auch, dem Kind seinen eigenen Rhythmus zu lassen, die Neugier nicht durch ständige Anregung zu ersticken.

Werden Kinder nicht mit Achtung und Respekt behandelt, dann betteln sie ständig um Anerkennung, auch im späteren Leben. Ein anderer gravierender Fehler ist die Überfütterung und ständige Reizüberflutung. Das Kind muss aus sicherer Umgebung selbst experimentieren dürfen, in seinem eigenen Tempo.

 

Auch ein kleines Kind muss Dinge tun dürfen, die die Eltern nicht begreifen oder gutheißen. Es muss sich unabhängig von den Wünschen und Illusionen der Eltern entfalten dürfen. Es soll selbst und nicht den Eltern zuliebe etwas tun. Das wäre Manipulation, bei der das Kind lernt, die übergriffigen Gefühle und Liebe solcher Eltern als Angriff auf sein Wesen zu erfahren. Es lernt dann, sich vor Gefühlen in Acht zu nehmen. Auch später wird es, je mehr es sich nach Liebe und Achtung sehnt, umso mehr dichtmachen, wenn es gefühlsmäßig wird.

 

Christine Li, Ulja Krautwald

Der Weg der Kaiserin

Wie Frauen die alten chinesischen Geheimnisse der weiblichen Lust und Macht für sich entdecken.

Fischer Taschenbuch, 12. Aufl. 2020

 

ISBN 978-3-596-16926-9