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Geschlechterdifferenzierung jenseits von Klischees

 

Es ist heute ungemein schwierig über Geschlechterdifferenzierung zu reden, ohne in Klischees zu verfallen oder der Klischees bezichtigt zu werden. Das liegt nicht daran, dass es keine charakteristischen Unterschiede gibt, sondern daran, dass die prinzipielle Dualität mit der konkreten Wirklichkeit verwechselt wird, in der die Differenzen immer mehr oder weniger harmonisch zusammenwirken und immer eine „ungleiche Einheit“ bilden.

 

Das Patriarchat ist eine perverse Zuspitzung, und Frauen bekämpfen zurecht dieses Patriarchat. Zugleich wird daran das Missverständnis deutlich, wenn Frauen gegen die Männer(herrschaft) kämpfen. Das Perverse sind nicht DIE Männer, sondern das Patriarchat – die Herrschaft einiger (oder auch vieler) Männer nicht nur über die Frauen, sondern über den Rest der Welt, Männer inbegriffen. Ideale Männlichkeit – wenn sie in der Realität in beinahe Reinform vorkommt, auch toxische – ist auch Rivalität. Der Patriarch oder Macho unterdrückt und vergegenständlicht die Frauen und bekämpft die männlichen Rivalen. Der Patriarch ist Macho (den Frauen gegenüber) und Kriegsherr (den Männern gegenüber).

 

Das Patriarchat, das sind nicht DIE Männer, sondern das sind die Alphatiere. Früher waren das die Könige und Adeligen, deren Aufgabe es war, ihr Territorium mittels Kriege zu vergrößern, und die sich das jus primae noctae herausnahmen. Heute sind es die Trumps und die mächtigen Konzern- und Firmenchefs, die neuerdings die „me too“-Bewegung ausgelöst haben. Emanzipationsbewegungen müssen sich daher immer bewusst bleiben, dass hier der „Feind“ zu suchen ist und nicht DIE Männer das Ziel sind.

 

Es muss klar sein, dass wir, um kommunizieren zu können, von „idealer“ Männlichkeit reden müssen, die zur „toxischen“ Männlichkeit wird, wenn sie tatsächlich so einseitig realisiert ist, dass sie aber so in der Realität kaum vorkommt, die immer eine Mischung der Gegensätze als mehr oder weniger stabile Einheit ist. Psychologisch gesprochen ist jeder Mann eine Mischung aus Männlichem und Weiblichen, jede Frau eine Mischung aus Weiblichem und Männlichem. Nur ist beim Mann die (physische und bewusste) Außenseite männlich, sein unbewusstes (Anima) weiblich. Daher ist die konkrete Frage: wie viel Zugang hat ein Mann zu seiner (weiblichen) Innenseite? Und diese ist beim Patriarchen und Macho verdrängt.

 

Klischee oder Dualität/Polarität?

Wer immer heute von männlich und weiblich redet, wird von bestimmter Seite der Klischees bezichtigt. Doch da wird Prinzipielles und Symbolisches mit dem Konkreten verwechselt. Daher ist es fast besser, statt von männlich und weiblich von Yang und Yin zu sprechen. Das klingt neutraler und betrifft zunächst das Prinzip der universellen Dualität. Wenn das immer noch als esoterisch oder philosophisch abgetan wird, möge man sich der Physik zuwenden, in der es gar nicht um Lebendiges geht, und damit männlich und weiblich keine Bedeutung haben. Doch auch hier entkommt man der Polarität nicht im Geringsten: als der Komplementarität von Teilchen und Welle, der leichten Instabilität von Materie und Antimaterie, von sichtbarer und dunkler Materie usw. – was in der Sprache der Symbolik wieder Yang und Yin oder männlich und weiblich repräsentiert.

 

Es geht nämlich auch in der Physik nicht um „reine“ Objektivität, sondern um unser Sehen der Realität. Und im Experiment zeigt sich eben nur entweder das eine oder das andere. Es ändert also nichts, wenn wir das Teilchen- und Wellenbild zum Feldbegriff vereinen. Eine andere Polarität ist die von Materie und Antimaterie. Hätte es nicht schon nach dem Urknall einen leichten Überhang der Materie gegeben, wären wir alle nicht hier, weil es dann kein Universum gäbe.

 

Mit anderen Worten: Polarität ist nie Gleichheit! Die Teilchensicht ist die fragmentierende, die Wellensicht die verbindende, aber mehr ganzheitliche Sicht. Genauso ist das „männliche“ Denken ein fragmentierendes, objektivierendes, während das „weibliche“ Denken ein verbindendes Beziehungsdenken ist. Natürlich heißt das nicht, dass alle Männer nur fragmentierend denken können, auch Männer haben beides, betonen aber – immer mehr oder weniger – das Fragmentieren. Könnten Männer NUR fragmentierend denken, wäre die (männlich dominierte) Physik nie auf die Quantenphysik gekommen, die nämlich mit dem bloß fragmentierenden Denken gar nicht zu begreifen ist, die mehr ein Beziehungsdenken voraussetzt. Daher konnte Richard Feynman sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht – nämlich mit dem fragmentierenden männlichen Denken der klassischen Physik, das auch das allgemeine Weltbild bis heute prägt. 

 

Es ist also immer zu beachten, wenn wir von einer grundlegenden Polarität (Yang-Yin, Teilchen-Welle, männlich-weiblich) reden, dass damit nicht konkret Mann und Frau gemeint sind, denn diese Polarität bezieht sich auch auf die konkreten Männer und die konkreten Frauen, die beide auch diese Polarität – in unterschiedlicher Ausprägung – in sich tragen.

 

Das Ende des Patriarchats

Das Patriarchat ist die Dominanz der zu männlichen Männer, die diese Persönlichkeitsstörung zur Normalität erhoben haben und der ganzen Welt diktieren – zum Schaden natürlich der Frauen, aber auch der anderen Männer, deren Männlichkeit nicht derart toxisch einseitig ist. Diese von toxischer Männlichkeit dominierte Welt muss an ein Ende kommen. Hinderlich dabei ist, dass diese uns aufgezwungene „toxische Männlichkeit“ als Patriarchat unsere „normale“ Welt (geworden) ist. Was bedeutet, dass auch unsere Sprache eine einseitige männliche Objektsprache ist, die Beziehung gar nicht richtig ausdrücken kann. Die dann das nicht Machomäßige abwertet und den nicht toxisch männlichen Mann als „Softie“ bezeichnet, weil diese Sprache nur in fragmentierenden Gegensätzen und nicht in verbindenden komplementären Ganzheiten reden kann.

 

Diese patriarchale Welt, in der wir alle leben (müssen), verführt auch dazu, die Gleichberechtigung der Frau als eine anzustrebende Besserstellung in dieser männlich dominierten Welt zu sehen. So als wäre es damit abgetan, dass Frauen in einer Männlichen Welt sich männlich behaupten lernen. Die Quotenregelung mag ein Schritt sein, sie ist aber nur die halbe Miete und birgt die Gefahr, dass damit der Gleichberechtigung genüge getan ist, wenn genauso viele Frauen wie Männer in den Vorstandsetagen sitzen, die dann aber insgesamt genauso patriarchal agieren wie vorher. Diese Gleichberechtigung ist nur ein erster kleiner Schritt, das Ziel muss aber sein, diese patriarchale Welt durch eine Welt zu ersetzen, die nicht ein einseitiges Prinzip dominiert, sondern in der beide Prinzipien sich auf Augenhöhe und ihrer Eigenart entsprechend begegnen und gemeinsam sich entwickeln können.

 

Vor allem geht es dabei nicht um abstrakte Gleichheit, sondern um Chancengleichheit und Selbstverwirklichung, dass jede/r auch so sein darf, wie er/sie ist. Mit einem Verbiegen des Weiblichen zum Männlichen ist das nicht zu erreichen, das stärkt nur das Patriarchat. Chancengleichheit und Selbstverwirklichung heißt, dass auch Männer authentisch sein dürfen, egal ob sie tatsächlich mehr „männlich“ sind oder auch einen Zugang zu ihrer Weiblichkeit leben können. Was vor allem auch heißt, dass Männer oder Frauen nicht sind, was sie sind, und darauf fixiert werden und bleiben, sondern dass dieses klischeehafte statische Weltbild aufgebrochen wird und man den Menschen ganz allgemein zugesteht, dass sie sich entwickeln und damit auch verändern dürfen. Das Fatale am Klischee ist ja vor allem seine Starrheit.

 

 

Letztlich geht es auch um die Anerkennung von Diversität, denn nur die ist „natürlich“. In der Welt gibt es keine zwei gleichen Schneeflocken. Diversität ist der Motor der Evolution und des Lebens. Daran gemessen ist unsere einseitige patriarchale Welt mit ihren Klischees etwas völlig Unnatürliches. Jeder Mensch müsste an seinem Platz leben, sich aber auch entwickeln dürfen. Deshalb muss das Patriarchat sich wandeln in eine Gesellschaft, in der es möglich ist, dass alle ihrem individuellen Sein entsprechend auf Augenhöhe leben können. Das erfordert ein neues Weltbild und eine neue Sprache.