· 

Begegnung zwischen Ost und West / 7

Die Suche nach dem Guru/Lehrer

Und nun zur schwierigsten Frage: Wie findet man (s)einen Guru oder Lehrer/in?

 

Gleich vorweg: Dass man in eine bestimmte Kultur, z.B. die christliche, hineingeboren wurde, heißt noch lange nicht, dass man sie auch versteht oder dass damit alles gesagt und getan wäre. Oder dass der Glaube an „etwas“ schon etwas mit Religion oder einem spirituellen Weg zu tun hätte.

 

Der Archetypus des Guru oder Lehrers (des/der Alten Weisen) ist aus dem Osten ins westliche Bewusstsein gedrungen. Wir haben weitgehend vergessen, dass es diese Strukturen bei uns genauso gegeben hat, nur waren sie anders benannt. Wir haben keine Gurus, sondern Heilige – und kommen nicht auf die Idee, von ihnen zu lernen. Wir vergessen, dass man nicht automatisch zum Heiligen wird, sondern der Lehrer Beichtvater hieß und allgemein ignoriert wird. Die Unbekanntheit ist/war aber wahrscheinlich sein großer Vorzug. Der Nachteil ist, dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis im Westen nicht Tradition hat, dass es keine „Guru-Linien“ gibt und diese Tradition keine Kontinuität hat.

 

Was ist ein Guru/spiritueller Lehrer?

Sie sind so vielfältig wie das Leben. Ramakrishna vertritt einen Bhakti-Yoga, Ramana Maharishi einen Jnana-Yoga, andere einen Kriya- oder Karma-Yoga. Die mit (geistigen) Kunststücken Aufsehen erregen, sind Fakire und keine Yogis. Die westliche Guru-Szene hat mit Yoga auch meist wenig zu tun. Gebeutelt von Missbrauchsfällen treten sie vorwiegend noch in den großen Kongressen (Bewusstsein, Achtsamkeit, was auch immer) auf. Die Konkurrenz ist groß, die Inhalte oft fragwürdig.

 

Gymnastik bis zur Zirkusreife ist gut für den Körper, hat aber nichts mit Yoga zu tun. Fantasievolle Namen, mit denen sich der Erfinder ein Denkmal setzen will, hat meist mit einem spirituellen Ego und weniger mit Yoga zu tun.

 

Es ist vielleicht sinnvoll, im Sinne von C.G. Jung, den Guru als Archetypus des/der Alten Weisen zu sehen, der in vielen konkreten Variationen auftreten kann. Diese Sicht hat den Vorteil, dass sie nicht etwas bloß Äußeres bezeichnet, sondern eine psychoide/transzendente, auch innere Struktur. Konkret heißt das, dass der Guru meinem Inneren entsprechen muss, dass da eine Resonanz fühlbar sein muss. Im weitesten Sinne heißt das, dass alles – Menschen, Tiere, Gegenstände, Situationen – zum Lehrer werden können.

 

Die Frage war aber: Wie findet man (s)einen Guru?

Paradoxe Antwort: nicht durch Suchen! Konkretes Beispiel: In den 1960er und 1970er Jahren brachen alle Suchenden nach Indien auf, um das große Glück, sprich Guru zu finden. Die meisten haben nichts oder irgendwelche Scharlatane und Blender gefunden. In Wien war es relativ einfach! Es ist kein Suchen und Finden, es ist eine Begegnung. Und begegnen kann man nur dem, was dem Inneren entspricht. Voraussetzung ist nicht das Flugticket nach Indien oder ein Ticket für einen großen Kongress, sondern Offenheit und Sehnsucht.

 

Wenn es heißt, es sei Schicksal oder Karma, dann ist das auch missverständlich. Karma ist auch nicht das (mechanische) Gesetz von Ursache und Wirkung, sondern wir begegnen dem, was unserem Inneren entspricht. Das zu ändern ist äußerst schwierig, aber wo es gelingt, fallen Ursachen weg (ohne realisiert werden zu müssen) oder wandeln sich in andere um. Sich ändern heißt, das ganze Leben und alles, was einem begegnet, zu ändern. Oder eben, die Möglichkeit für eine Begegnung zu eröffnen.

 

Den eigenen Weg gehen

Zu bedenken ist auch: Wir leben in Zeiten des Umbruchs, und das betrifft auch die Idee des Gurus. Ein indischer Ashram hat eine durchaus hierarchische bis autoritäre Struktur. Und da, wo sie angeblich durchbrochen wurde, ist sie eher noch autoritärer. Die westlichen Epigonen sind meist spirituelle Machos, deren Schüler/innen wie Groupies an ihnen hängen. Beides ist in Auflösung begriffen. Und es ist durchaus offen, wohin die Reise geht.

 

Es geht jedenfalls nicht mehr so sehr darum, dass ein Guru eine bestimmte Lehre vertritt und diese weitergibt an Schüler, die in Resonanz zu diesem Weg stehen. Der heutige „Guru“ nennt sich nicht mehr Guru, ist nach außen hin gar nicht sichtbar, hat einige Schüler/innen, von denen jede/r seinen/ihren eigenen Weg geht. Die Verbindung zum Lehrer ist eine innere und gar nicht unbedingt von geografischer Nähe abhängig. Letztlich gibt es so viele Yogarichtungen wie es Menschen gibt, weil jeder seinen eigenen Weg finden und gehen muss. Und dieser Weg ist nicht irgendwie vorgezeichnet, sondern ergibt sich im Gehen.

 

Die Frage nach dem Guru ist mit der Frage nach dem eigenen Weg verbunden. Beiden – Lehrer und Schüler – geht es nicht um eine Lehre, sondern um eine Herzensbindung. Es ist auch nicht die Jagd nach dem Samadhi, Satori oder der Erleuchtung – es gibt viele solcher Erfahrungen, aufgereiht wie eine Perlenkette, dazwischen Phasen der Stille und der Tiefpunkte. Die dunklen Phasen gehören genauso zum Weg wie die Höhepunkte. „Gemessen“ wird an der Entwicklung der Persönlichkeit im Ganzen.

 

Und wenn man ihn nicht findet?

Für manche kommt diese Begegnung wie „von selbst“ zustande, für andere will sie sich nicht einstellen. Manche haben einen Lehrer, andere gehen von einem zum anderen (in größeren Zeitabständen), manche lernen bei mehreren, manche lernen von Situationen, Begegnungen (von großen Menschen bis hin zu Bettlern), durch Sehen und Beobachten, durch Fühlen und Lieben.

 

 

Ein wichtiger Schritt ist das Aufgeben der krampfhaften Suche. Worum es geht ist Entwicklung, und zwar auf allen Ebenen. Wenn eine Seite zu stagnieren scheint, kann man inzwischen auf einer anderen weiterarbeiten. Rückschläge, Phasen der Entmutigung, der Dunkelheit sind nichts als Stufen auf dem Weg. Es gibt nur eine Regel: dass es keine Regel gibt. Und dass das „Ziel“ die All-Liebe ist, die auf verschiedensten Wegen zu erreichen ist.