COVID-19 oder das Dilemma der Regierungen

Um jemand zu verstehen – ich weiß, den meisten geht es nicht darum – muss man sich in seine Lage versetzen (können). Tun wir das mal für unsere oder irgendeine Regierung:

 

Anfangs wusste niemand, was da auf uns zukommt. Nichtstun war keine Option, das hätte man ihnen in Kürze um die Ohren gehauen. Also mussten sie „Maßnahmen“ ergreifen, ohne zu wissen, wie die sich auswirken oder wie sinnvoll sie tatsächlich sind. Natürlich fliegt ihnen auch das um die Ohren, aber sie haben wenigstens nicht nichts gemacht.

 

Inzwischen wissen wir, die grundlegenden Maßnahmen wie Hygiene, Abstand halten, Einschränkung (nicht aussetzen!) von Sozialkontakten, Masken wenn Abstand nicht möglich, sind wirksam. Der Rest war überzogen, aber das zuzugeben wäre auch fatal, weil es dann hieße, alle Maßnahmen waren sinnlos. Dass die meisten nicht differenzieren können, ist ja das einzig wirklich Evidente in dieser Krise.

 

Die sogenannte 2. Welle

Jetzt haben wir eine 2. Welle (das wurde fatal kommuniziert), die nichts ist als der natürliche Anstieg im Herbst, der nicht zu verhindern, aber natürlich einzudämmen ist. Und langsam wird klar, dass der Hauptdarsteller in der Krise nicht die Regierung ist, sondern wir selbst sind. Und wieder ist die Regierung im Dilemma: Sie kann nur äußerliche Maßnahmen setzen, ist aber darauf angewiesen, dass sich die Leute daran halten.

Streng zu kontrollieren wird ihnen wieder um die Ohren fliegen. Und da, wo es wirklich gefährlich ist, nämlich im privaten Bereich, haben sie gesetzlich keinen Zugriff! Das ginge nur in China. Da können sie vorschreiben, dürfen aber nicht kontrollieren.

 

Was sich immer klarer abzeichnet ist, dass wenn sich die Bevölkerung an ein Minimum an Maßnahmen hält – und das sind eben Hygiene, Einschränkung (nicht Eindämmen) von Sozialkontakten, Abstand halten, Masken wo das nicht geht – dann kommen wir wahrscheinlich durch die Krise. Dann wird es Kranke geben, dann wird es Tote geben, aber nicht in überdimensionaler Höhe. Nulllösung gibt es dabei nicht.

 

Alles hat Vor- und Nachteile

Die Krise hat gezeigt, dass viele, zu viele Menschen in der Gefahr in ein kindliches Schwarz-Weiß-Denken zurückfallen. So als hätten sie nie denken gelernt! (Was vielleicht sogar stimmt!). Die einen dramatisieren die Krise, die anderen ignorieren sie. Das eine ist so dumm wie das andere. Das Leben besteht nie aus Superlativen, sondern aus Grautönen. Es ist nichts nur gut oder nur böse. Das heißt im Falle von CORONA-Maßnahmen: Es geht nicht darum, ob sie richtig oder falsch sind, sondern ob wir die Nachteile in Kauf nehmen um der Vorteile willen.

 

Anders gesagt: Wo liegt die Scherzgrenze? Was in China möglich und erfolgreich ist (z.B. Totalüberwachung, um einen ausbrechenden Krisenherd sofort eindämmen zu können), ist bei uns nicht möglich. Aber was nehmen wir an Unannehmlichkeiten in Kauf, um Schlimmeres zu verhindern? Hygienemaßnahmen tun nicht sehr weh, Abstand halten, wo immer es geht, auch nicht. Bei den Masken fängt es an, weh zu tun. Sie sind unangenehm und sammeln Mikroben (die aber ohnehin immer da sind, das muss man auch relativieren), also wird man sie in Kauf nehmen, aber nur dort, wo es unbedingt notwendig ist: im Gesundheitsbereich, also Ordinationen und Apotheken, und in öffentlichen Verkehrsmitteln.

 

Die Geschäfte zu schließen, war sicher nicht sinnvoll, sondern fatal. Das hätte man kreativer lösen müssen. Man hätte sich einigen können auf Personen pro Quadratmeter Fläche, und der Betrieb hätte eingeschränkt weitergehen können. Da war eine Schmerzgrenze überschritten.

 

Verantwortung und mitdenken

Wir wissen inzwischen, die meisten Ansteckungen passieren im privaten Bereich. Und auf den hat die Regierung nur beschränkt Zugriff. Sie kann „Indoor-Beschränkungen“ erlassen, die beziehen sich dann aber auf den Tisch im Restaurant oder auf öffentlich-private Veranstaltungen. Was die Menschen in ihren eigenen vier Wänden tun, ist ihre Sache. Da können nur die Nachbarn eingreifen – und das nur wegen Lärmbelästigung.

 

Damit sind wir aber beim wichtigsten Faktor in der Krise – und das sind die Menschen und nicht die Regierung. Aus Google-Bewegungsmustern wissen wir, dass die Menschen ihre Mobilität bereits vor dem Lockdown aus eigenem eingeschränkt haben und dass das bereits Wirkung gezeigt hat. Der Lockdown hatte keine nennenswerte zusätzliche Wirkung. Wie auch, wenn sich das meiste im privaten Bereich abspielt.

 

Das heißt aber, die Menschen haben schon vorher ihre Verantwortung wahrgenommen. Natürlich aus Angst und weil niemand wusste, was da auf uns zukommt. Inzwischen gibt es immer mehr Menschen, die die verordneten Einschränkungen satt haben und sich um gar nichts mehr kümmern. Fazit: Das Wichtigste sind nicht die Maßnahmen, sondern die Motivation der Menschen!

 

Krisenmanagement ist Informationsmanagement!

Damit sind wir bei der größten Schwäche der Regierungen: die mangelnde Information. Das war am Anfang verständlich, weil niemand wusste, worum es eigentlich geht. Doch langsam stieg das Wissen, und wenn es auch heute noch sehr mangelhaft ist, wir wissen doch weit mehr als am Anfang. Und nun wäre es an der Regierung gelegen, dieses Wissen – und auch die Unsicherheiten dabei – zu kommunizieren. Da gab es leider nur Versäumnisse.

Nun ist die Politik leider ein ausgesprochen kindisches Geschäft. Wie im Sandkasten geht es nur darum: Magst du mich oder magst du mich nicht? Es geht nur darum, Bestätigung zu sammeln. So geht es in den Regierungen nicht darum, wie Erwachsene zu informieren, sondern selbst gut dazustehen. Da wird es dann schon zum Problem, wenn in einer Koalition der eine besser dasteht als der andere. Vor allem der, der den Häuptling spielt, darf nicht im Schatten eines Mitspielers stehen. Da bleibt natürlich die Information auf der Strecke.

 

Dazu kommt, dass Kinder und Politiker nicht vorausdenken können. Dass auf längere Sicht das Informieren die bessere Option wäre, entgeht ihnen daher. Jetzt haben wir die Situation, dass die Menschen, die anfangs sich selbst eingeschränkt haben, nicht mehr einsehen, warum sie sich per Verordnung einschränken sollen. Manches war wirklich sinnlos, aber statt das einzugestehen, muss der eingeschlagene Weg, wenn auch vorsichtiger, beibehalten werden.

 

Diskutieren statt verordnen

Aber jetzt fliegt ihnen langsam die mangelnde Information um die Ohren. Statt bloß zu verordnen und die Notwendigkeit der Maßnahmen zu kommunizieren, müsste endlich die Diskussion aufgenommen werden, was sinnvoll ist und warum. Vor allem aber auch darüber, dass auch die Wissenschaftler ganz offensichtlich nicht einer Meinung sind – das liegt in der Natur der Wissenschaft – und dass daher die verschiedenen Meinungen nicht ignoriert werden dürfen. Der Sinn von Information und Diskussion ist Meinungsbildung.

 

Statt der endlosen Selbstdarstellung in Pressekonferenzen müsste es Diskussionen mit verschiedenen Wissenschaftlern geben, wo die Politiker am Ende sagen können, warum sie letztendlich zu diesen oder jenen Maßnahmen kommen. Nicht unbedingt aus wissenschaftlicher Evidenz, die in den seltensten Fällen schon gegeben ist, sondern aus Vorsicht, oder um dieses oder jenes Ziel zu erreichen. Die Rolle der Politik ist eine andere als die der Wissenschaft. Sie muss sich auf die Wissenschaft stützen, muss aber zu konkreten Maßnahmen kommen, auch wenn es keine einheitlichen wissenschaftlichen Statements gibt. Sie muss diese nur begründen, so dass die Menschen es auch nachvollziehen können.

 

Diktatur oder Demokratie

Da ein Großteil der Bevölkerung nur mehr schwarz-weiß denkt, gibt es immer mehr Stimmen, die die Verordnungen der Regierungen als diktatorisch erleben. Da gibt es schon die wildesten Unterstellungen, und auch wenn die lächerlich sind, muss man sie ernst nehmen. Wenn die Regierung es schafft, die Diskussion transparent zu machen, werden die Menschen – oder zumindest die Mehrheit – das auch verstehen.

 

Dann wird den meisten klar werden, dass es verschiedene Meinungen gibt, auch unter Wissenschaftlern, dass es verschiedene Argumente gibt, wie das unter Menschen eigentlich der Normalfall ist. Demokratie heißt, dass man eine eigene Meinung hat (und hoffentlich nicht irgendetwas bloß nachplappert) und auch andere Meinungen respektiert. Wenn das so ist – und das wird nur dann so sein, wenn vorher transparent diskutiert wurde – dann werden die Maßnahmen, sofern sie nicht extrem sind, von einer Mehrheit mitgetragen werden. Auch von jenen, die nicht mit allem einverstanden sind.

 

 

Ergebnis sollte sein, dass allen – oder den meisten – klar wird, was die minimalen und unbedingt notwendigen Maßnahmen sind, die eingehalten werden sollten. Nicht weil verordnet, sondern weil sie einsichtig sind. Dann wird es immer auch solche geben, über die man diskutieren kann, weil ihr Effekt nicht so klar oder schlüssig ist, die dann von den Vernünftigen mitgetragen werden, weil sie doch möglicherweise zu einem Erfolg beitragen. Damit wäre dann aber die Schmerzgrenze und auch die Grenze des noch Sinnvollen erreicht.