Feminismus 2: Feminismus in einer patriarchalen Welt

Zunächst noch einmal zur Rechtfertigung: Wie kann ein Mann über Feminismus schreiben? Er ist keine Frau! Nein, ist er nicht. Aber er kennt das, was der Feminismus bekämpft, nämlich das Patriarchat. Allerdings auch nur, sofern er sich dessen bewusst ist. Es ist sein Element, aber fragen Sie mal einen Fisch über das Wasser… Es ist sein Element, und das sieht er gar nicht!

 

Wir leben heute – und das schon sehr lange – in einer patriarchalen Gesellschaft. Sozusagen das Wasser, in dem wir – und zwar Männer UND Frauen – leben, was uns aber kaum bewusst wird, weil es unsere "Normalität" ist. Und das ist auch eines der Probleme des Feminismus: Es geht um Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber nicht um die Gleichstellung IN einer patriarchalen Gesellschaft! Für gleiche Rechte in einer männlichen Gesellschaft zu kämpfen, bedeutet nichts anderes, als diese männliche Gesellschaft zu stärken. Zum einen ist das „Kämpfen“ an sich schon eine männliche Eigenschaft, zum anderen verführen dieselben Rechte („ich will auch das tun, was Männer tun“) letztlich dazu, die männliche Welt gar nicht infrage zu stellen. Darauf aber käme es an.

 

Daher arbeitet einiges, das auch unter dem Label „Feminismus“ läuft, der patriarchalen Gesellschaft in die Hände. Die Quotenfrau in der Vorstandsetage (die wahrscheinlich kompetenter ist als ihre männlichen Kollegen, schon weil sie es viel schwerer hatte, dahin zu kommen) steht ihren Mann – und zementiert damit das Patriarchat. Statt die männliche Welt durch eine weibliche zu ergänzen, behauptet sie sich (wahrscheinlich souverän) in der männlichen Welt – die damit die gleiche pubertär-patriarchale Welt bleibt wie zuvor. Da ist für den Feminismus nichts gewonnen.

 

Die Polarität der Welt

Aber damit sind wir schon beim eigentlichen Problem. Für Frauenrechte kämpfen, ist eine gute Sache, und es ist einfach nur traurig, dass viele Frauenrechte so spät erkämpft wurden. Es ist z.B. noch nicht so lange her, dass Frauen nicht studieren durften. Aber da geht es eigentlich um Menschenrechte. Sache der Frauen wäre heute, die einseitig männliche Welt durch die weibliche Welt zu ergänzen, und damit die Welt insgesamt beziehungsfähiger und friedlicher zu machen. Menschen mit überwiegendem Testosteron-Hintergrund werden Ungerechtigkeiten immer martialisch bekämpfen, sprich Terrorismus mit Krieg beantworten. Das ist es, was wir derzeit beobachten können, daran wird auch eine Generalin nichts ändern. Damit kann die Welt nur noch einseitig männlicher werden.

 

Jetzt komme mir niemand mit dem Argument, dass Frauen, wenn es darauf ankommt, brutaler sein können als Männer. Das mag stimmen, aber nur dann, wenn sie (in der Sprache C.G. Jungs) Animus-besessen sind. Daher ist es so wichtig, die konkrete Ebene (Mann, Frau) von der symbolischen (männlich – weiblich) zu unterscheiden. Letztere bezeichnet die Dualität, die sich durch das gesamte Universum durchzieht. Yin und Yang wäre die (für uns) neutralere Sprache, obwohl das auch nichts anderes bedeutet. Es bezeichnet ursprünglich die Sonnen- und Schattenseite eines Hügels, und steht für die Gegensätze ganz allgemein: hell-dunkel, rechts-links, oben-unten, männlich-weiblich, usw. Positiv-negativ wäre genauso richtig, wenn das nicht wieder in Richtung gut-schlecht oder gar gut-böse interpretiert werden könnte. Und das Wichtigste aus Sicht des Daoismus: Im Positiven ist Negatives und umgekehrt, im Männlichen ist Weibliches, und umgekehrt. Es gibt keine reinen Gegensätze in der konkreten Welt.

Die konkrete Ebene Mann-Frau bezeichnet auch diese Dualität, ist aber eigentlich eine Quaternität, denn jeder Mann ist männlich-weiblich, wie jede Frau weiblich-männlich ist – in je unterschiedlicher und individueller Ausprägung. Das Innere, das Unbewusste ist gegengeschlechtlich. Daher relativiert sich die Beziehung auf Augenhöhe.

 

Daher ist es einerseits wichtig, überkommene Klischees über Bord zu werfen, andererseits aber das Prinzip männlich-weiblich nicht mit diesem Bad auszuschütten. Die Polarität zu leugnen ist verhängnisvoll. Das soziale Geschlecht (gender) muss von historisch überkommenen Verunreinigungen befreit werden, keine Frage; gleichzeitig das biologische Geschlecht zu leugnen, ist dagegen Unsinn. Die Gendermedizin ist erst vor kurzem draufgekommen, wie unterschiedlich Mann und Frau (bis ins Hirn und bis in die letzte Zelle) sind, auf Medikamente unterschiedlich reagieren, dass männliche Krankheitssymptome andere sind als weibliche, und dass es „männliche“ und „weibliche“ Krankheiten gibt. Gender und Sex sind zwei verschiedene Ebenen, die man nicht vermischen darf. Ebenso die konkrete und die symbolische Ebene, bei letzterer geht es nicht um Mann und Frau, sondern um psychische Strukturen und die Dualität ganz allgemein.

 

Die Stellung der Frau – in welcher Welt?

Mit Feminismus hat das insofern zu tun, als man die Klischees und den Kampf gegen diese Klischees in den männlichen Kontext des Patriarchats einordnen muss. Die prinzipielle Ablehnung der Mutterrolle kommt zum Beispiel aus der Abwertung der Frau in der patriarchalen Welt. Die wirklich feministische Perspektive wäre, es der Frau freizustellen, wie sie ihr Leben gestalten will, und nicht die männlich-abwertende Sicht noch einmal abzuwerten. Wie „feministisch“ ist es aber, als Frau die männliche Abwertung des Weiblichen zu übernehmen?

 

Ebenso geht die Kita-Diskussion nicht nur an den Bedürfnissen der Kinder völlig vorbei, sondern auch an der beziehungsorientierten Sicht der Frau. Die Bindungsproblematik ist ja ein weibliches Thema, das in einer männlichen Welt keinen Platz hat. „Progressiv“ gesehen ist nur die rein pubertär-patriarchale Welt der Wirtschaft relevant, der sich auch die Frau unterzuordnen hat. Sie darf und muss beinahe ihre Rolle in der rein patriarchalen Wirtschaft spielen, die damit zusätzlich zementiert wird. Soviel „Feminismus“ darf sein. Unterm Strich wachsen bindungsgeschädigte Kinder heran. Nicht dass eine Kita nicht auch Bindungen ermöglichen kann, das könnte sie natürlich im Idealfall auch. Aber jede/r sollte doch wissen, wie häufig der Idealfall im realen Leben vorkommt…

 

Ziel kann also nicht sein, dass sich die Frauen den Männern anzugleichen haben und vor allem in der Wirtschaft die gleiche Rolle spielen dürfen oder müssen. Der Weg darf ihnen nicht versperrt werden, es ist ihnen freizustellen. Aber das eigentliche Ziel muss es sein, nicht die patriarchale Welt zu stärken, sondern die weibliche, also der männlichen Welt eine weibliche Welt gegenüberzustellen, die eine durch die andere zu ergänzen. Nur so könnten die pubertär-aggressiven Auswüchse des Patriarchats gemildert werden.

 

Frauen müssen nicht ihren Mann stehen und das Patriarchat stützen, sondern ihre Frau stehen, d.h. ihre weiblichen Stärken einbringen. Die männlich-hypertrophe Welt des Marktzwangs, der Konkurrenz, der Kriege und des Terrorismus muss ergänzt und gemildert werden durch eine Welt, in der es nicht auf Produktion, Objektivierung sowie Ein- und Ausgrenzung ankommt, sondern auf Beziehung, Zusammenhalt und Einordnung in ein Ganzes.

 

Was sich vor allem ändern muss

Aber wenn man sich die psychischen Strukturen und die Dualität allgemein anschaut, wird man sehen, dass eine wirkliche Veränderung nicht im Außen möglich sein wird. Die erfolgreichen Frauen werden die männliche Wirtschaft nicht ändern. Der expandierende („weiblichere“) Dienstleistungssektor wird im Patriarchat überwiegend auch männlich strukturiert und organisiert. Wirkliche Änderungen können nur durch ein allgemeines Umdenken erfolgen. Das patriarchale Objektdenken muss durch ein weibliches Beziehungsdenken ergänzt werden, vorher kann und wird sich nichts ändern.

 

Die Abwertung des Weiblichen ist unterschwellig im Patriarchat allgegenwärtig und wird allgemein als normal empfunden. Zu bedenken ist, dass wir alle – Männer und Frauen – vom männlichen Objektdenken geprägt sind. Das bedingt, dass hintergründig viele Feministinnen genauso männlich objektorientiert denken wie die Allgemeinheit. Die wollen dann nur die gleichen Rechte wie die Männer, und damit ihre Rolle in einer männlichen Welt, die sie dadurch noch bestärken. Die Ungleichheit (im Denken) geht ja so weit, dass ein negativer Vaterkomplex eines Mannes beinahe normal ist, während ein Vater- oder Mutterkomplex einer Frau als sehr negativ empfunden wird. Denn die patriarchale Gesellschaft ganz allgemein ist von einem negativen Vaterkomplex geprägt [1]. So wie ein Mann mit Vaterkomplex seine unterbelichtete weibliche Seite, seine Anima beleben muss, so auch die Gesellschaft als Ganze.

 

 Gegensätze gehören komplementär zusammen, das haben wir aus der Quantenphysik gelernt – oder hätten wir lernen können. Ebenso aus der Analytischen Psychologie C.G. Jungs, die an der Gesellschaft aber genauso vorbei gegangen ist wie die Quantenphysik. Die Gesellschaft ist eine patriarchale geblieben, auch wenn seit 100 Jahren in der Psychologie und sogar in der Physik klar ist, dass diese Einseitigkeit nicht aufrechtzuerhalten oder krankhaft ist. Wir haben eine retardierte Gesellschaft, deren Entwicklung um 1900 steckengeblieben ist, was sich wie eine kollektive Persönlichkeitsstörung auswirkt.

 

 Aufgabe des Feminismus – aber genauso der Männer – wäre es, dieser kollektiven Persönlichkeitsstörung entgegenzuwirken, indem die Anima-Qualitäten belebt werden. Lösungen innerhalb des Patriarchats werden immer nur das Patriarchat stärken. Das heißt in letzter Konsequenz, das männliche Objektdenken muss durch das weibliche Beziehungsdenken ergänzt werden. Das passiert seit rund 100 Jahren in der Physik und Psychologie, nur wird es kaum bemerkt. Es geht jedenfalls nicht darum, die männliche Welt zu bekämpfen (das wird sie immer nur zementieren), sondern die weibliche Welt zu stärken. 

 


 

[1] Siehe auch: Verena Kast: Vater-Töchter – Mutter-Söhne. Wege zur eigenen Identität aus Vater- und Mutterkomplexen. Kreuz Verlag 2020

 

 

Bildnachweis:

 

1) Anna Stangl: Stacheln, 2012 (oben)

Das wäre die symbolische Darstellung einer Frau, die männliche Züge (Stacheln) annimmt. Sie schielt aber schon auf das eigentliche Ziel, der Entfaltung des Weiblichen.

 

2) Anna Stangl: ruminant touch, 2003 (links)

Noch nicht einander zugewandt, aber auf dem Weg zu einer Beziehung auf Augenhöhe.

 

3) Anna Stangl: Der Affe, 2017 (vorige Seite)

Die Frau in einer erdrückenden, archaisch-pubertär retardierten, patriarchalen Welt.