Krieg und Frieden

In Philosophie und Theologie ist es die Theodizee-Frage: Warum kann Gott das (Böse) zulassen? In der profanen Welt ist es die schlichte Frage: Warum gibt es Krieg, wenn doch eigentlich niemand Krieg will?

 

Auf die erste Frage gibt es viele, aber keine so recht befriedigende Antwort. Ich möchte mich hier nur der zweiten Frage zuwenden:

 

These 1: Krieg ist ein durch und durch männliches Gewerbe.

 

These 2: Krieg wird bis in die äußerste Bestialität hinein sexualisiert.

 

These 3: Deswegen wird Krieg nie aufhören. Und wenn, dann nur nach Beendigung des (pubertären) Patriarchats und dem Erwachsenwerden der Menschheit. 

 

 

Ad 1:

Es gibt männliches und weibliches Verhalten. Bevor mich die Feministinnen und Genderfanatiker verprügeln, formuliere ich es um: Krieg ist eine Eigenschaft des Patriarchats. Solange wir patriarchale Strukturen haben, wird es auch Krieg geben.

 

Kleiner Einschub: Da die Kirche ein patriarchaler Verein ist, gibt es folgerichtig Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennung, heilige Kriege und Waffenweihe. Einer Kirche, die das Weibliche nicht verdrängt, wäre das nicht passiert…

 

Das archaische Symbol der Männlichkeit ist der Jäger. Seit der Steinzeit sind die Männer für die Nahrungsbeschaffung, sprich das Jagen zuständig. Alles Lebende ist daher Objekt des Tötens.

 

Nächster Einschub: Naturwissenschaft ist durch und durch männlich. Erst wurde die Welt entseelt (was auch heißt, vom Weiblichen „befreit“), dann jagte man die kleinsten Bausteine der Welt, und man beschäftigt sich mit dem Erlegten, der toten Materie. Die ist mechanistisch, unbelebt und berechenbar. Die Jagd geht weiter, auch wenn es diese kleinsten Bausteine der Welt nicht gibt, wie man Anfang des 20. Jahrhunderts schon feststellen musste. Mit der Quantenmechanik ist die Physik unversehens ein bisschen weiblich geworden. Das Elementare sind nicht kleinste (tote) Objekte, sondern Wechselwirkung und Beziehung – das Element des Weiblichen. Die Physik ist immer noch männlich, aber es gibt immer mehr Frauen in der Physik. Das lässt hoffen – nicht zuletzt auch für unser Thema.

 

Die Wirtschaft ist eine pubertäre Jagdgesellschaft, voll Konkurrenz, Marktverdrängung und feindlichen Übernahmen. Rein männliches pubertäres Gehabe. Zu den erfolgreichsten Sparten gehört die Pharmaindustrie, die Krankheiten bekämpft und Jagd auf alles Lebendige macht (Anti-Biotika usw.). Und eben die Rüstungsindustrie, die Massenproduktion phallischer Mordinstrumente. Die werden an Freund und Feind verkauft (man will ja nicht parteiisch sein), damit wird flächendeckend (nicht nur Leben) zerstört, und der Wiederaufbau kurbelt wieder die Wirtschaft an. Krieg ist männlich, hasst letztlich alles Lebendige und alles Weibliche, und reproduziert sich dabei selbst.

 

 

Ad 2:

Wer auch nur seinen Militärdienst geleistet hat, der weiß, wie sehr dort alles sexualisiert ist. Gerade das Fehlen der Frauen führt zu einer Übersexualisierung. Dasselbe gilt für die (schlagenden) Burschenschaften. Wo das bloß Männliche dominiert, wird das Töten sexualisiert und alles Sexuelle ins Sadistische und Brutale gewendet. Vergewaltigung gehört seit je zur Kriegstaktik.

 

Wem das zu dick aufgetragen ist, für den berichtet Eugen Drewermann im Kontext seiner Deutung des Märchens von den Zwei Brüdern vom Golfkrieg 1992. Nachdem amerikanische Piloten sechs Wochen lang die irakischen Frontlinien aus 15 km Höhe bombardiert hatten, erklärten sie auf die Frage nach den folgenden Bodenkämpfen: „Wir haben doch nicht wochenlang gevögelt, um jetzt nicht abzuficken.“ Der Nahkampf als Sexualakt. Und der Endpunkt der männlicher pubertärer Logik, alles was lebt, zu einem Objekt des Tötens zu machen.

 

Einschub: Wen wundert es, dass der Männerverein der Kirche immer ein Problem nicht nur mit der Sexualität, sondern auch mit pervertierter Sexualität hatte und hat.

 

 

Ad 3:

Diese Verschmelzung von Krieg, Brutalität und pubertärer sexualisierter Gewalt kann nicht aus der Welt geschafft werden. Es sei denn, die Menschheit wird als Ganze erwachsen, und das geht nur durch die Aufwertung und Integration des Weiblichen, das die Welt nicht als Ansammlung von jagdbaren Objekten sieht, sondern als zusammenhängendes Netzwerk von lebendigen Beziehungen.

 

Männliches Denken führt zur Subjekt-Objekt-Spaltung, zu einer entseelten, leblosen Welt, in der alles Fremde bekämpft werden muss, und wo Töten und Vernichten nichts Besonderes ist. Weibliches Denken ist Beziehungsdenken, das nichts abgrenzen und ausgrenzen muss. Für das die Welt lebendig ist und daher nicht zerstört werden muss. (Wir sprechen hier von Symbolik und nicht konkret von Mann und Frau, das wäre ein anderes Thema).

Einzige Hoffnung ist daher in der Gesellschaft das Ende des Patriarchats und die Aufwertung des Weiblichen. Wenn das Pendel aber nur in die andere Richtung ausschlägt, in ein bloßes Matriarchat, dann ist auch nichts gewonnen. Es müsste ein Erwachsenwerden der Menschheit sein, bei dem die Männer ihr Weibliches und die Frauen ihr Männliches entwickeln und integrieren, statt es zu verdrängen. Im Einzelnen ist es im Patriarchat daher vor allem das Erwachsenwerden der Männer, die Integration des Weiblichen, der Anima im Mann.

 

Bisher haben wir von „männlich“ und „weiblich“ gesprochen, das heißt von Symbolik. Wenn wir von Mann und Frau reden, ist das was anderes, weil Männer wie Frauen aus Männlichem und Weiblichem bestehen, in unterschiedlicher Gewichtung. Hier hat die Genderforschung eine gewichtige Rolle. Auf der einen Seite gilt es, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht zu übersehen (die sogenannte Gendermedizin hat erst seit kurzem die Unterschiede wahrgenommen), andererseits gilt es, die Klischees und Rollenbilder zu dekonstruieren, durch die ein richtiger Mann ein testosterongesteuertes Tier sein darf, das seine weibliche Seite völlig degeneriert unterdrückt. Für den Frauen gefügige Objekte zu sein haben oder sein dürfen. Dass diese Karikatur bekämpft werden muss, von Frauen, die ihre männliche Seite aktivieren, ohne ins andere Extrem zu verfallen, ist auch klar.

 

Ein bloß testosterongeleiteter Macho ist kein Mann, sondern ein Torso, der seinen weiblichen Anteil total verdrängt und daher kein ganzer Mensch, auch kein ganzer Mann sein kann. Ein archaischer Urmensch, der in der Jagd und im Krieg aufgeht und nichts zu einem lebendigen Zusammensein beitragen kann. Die Sprache pubertärer Machos ist denn auch die Ursprache der Jäger und Soldaten: da wird „flachgelegt“, „zur Strecke gebracht“, „erobert“, man muss „zum Schuss kommen“ – rein machohaftes Geprotze. Eine solche Karikatur von Mann muss jedes Gefühl in sich abtöten, weil es ihm zu gefährlich erscheint. Denn all das Gehabe dient hintergründig dazu, ein massives Minderwertigkeitsgefühl zu verdecken und sich gar nicht einzugestehen. Dazu wäre ein richtiger Macho viel zu feige.

 

 

Fazit: Kriege wären nur dann zu verhindern bzw. überflüssig, wenn die Menschheit erwachsen wird, und Männer wie Frauen zu ihrer Ganzheit finden. Das Problem dabei ist: Es wird zwar immer einige oder sogar viele geben, die erwachsen werden, aber an der Macht sind und bleiben die pubertären Machos. Dies kann keine Revolution ändern, weil die auch nur mit männlicher Gewalt vonstatten gehen kann. Auch die aufgeklärte Französische Revolution hat nur das Töten rational perfektioniert. Es geht – wenn überhaupt – nur über ein globales Umdenken, über ein neues, ganzheitliches Weltbild, getragen von einer erwachenden Zivilgesellschaft.